Bericht über unsere Indien-Reise im November 2010
Schon im Frühjahr hatte Beate von ihren Weltladen-Kolleginnen die Nachricht mitgebracht, dass Dr. Pieter de Haas mit einer Reisegruppe wieder einmal den Süden Indiens besuchen wird und wir die Möglichkeit hätten, dabei zu sein.
Die Jahreszeit im Reiseland passte zur Urlaubsplanung und unsere Neugier auf „incredible India“ war groß. Ein erstes Treffen der Reisegruppe am ersten schönen Frühlingssonntag im April bei Pieter zu Hause machte uns mit interessanten Menschen und Details des Programms und der Reiseroute bekannt. Organisatorische Informationen, insbesondere über die möglichen bzw. notwendigen Impfungen, erforderliche Reisedokumente, der Jahreszeit in Indien angepasste Garderobe usw. wurden von einem ersten kulinarischen Erlebnis der indischen Art gekrönt.
Das zweite Treffen im Oktober präzisierte noch einmal die Programmpunkte und endete nach der für die Visa-Erteilung notwendigen Übergabe der Reisepässe an Pieter wie schon im April mit ausgezeichneter hausgemachter indischer Küche.
Die geänderte Bahnreise zum Abflughafen brachte keinen aus der Ruhe und auch die beiden Flüge von Frankfurt über Dubai nach Cochin waren erfreulich unspektakulär.
Bei unserer Ankunft am frühen Montagmorgen empfing uns bei bereits
schweißtreibenden Temperaturen Pater Dr. Sebastian Peinadat
– er hat in Deutschland Theologie studiert -, der Leiter des Centre of indian
spirituality. Dieses Ashram
befindet sich in einem Gartengelände, in dessen Mittelpunkt ein
Meditationsgebäude liegt. In einem Saal
symbolisieren die Heiligen Schriften des Hinduismus,
Islam, Juden- und Christentums den Dialog der Religionen, den der
Jesuitenpriester Sebastian und seine Brüder mit Leben füllen. Ein größeres Gebäude wurde im vergangenen Sommer fertig gestellt.
Dieser Saal wird u.
a. auch für die Ausbildung von Priesterschülern genutzt.
Im zentral gelegenen Wirtschaftsgebäude haben wir gemeinsam mit den Bewohnern des Centres die Mahlzeiten eingenommen, die allen Reisegefährten nicht nur wohl geschmeckt haben, sondern ihnen auch gut bekommen sind. Hatte doch die Mehrheit unserer Reisegruppe, wenn nicht Indien-, so doch zumindest andere Tropen- und ähnliche kulinarische Erfahrungen.
Das übrige Gelände bestand aus Schatten spendendem Pflanzenbewuchs und hatte einen Zugang zu einem Platz mit schöner Aussicht über den vorbeiführenden Fluss.
Schon am ersten Tag führte uns Sebastian zu einem Gedenkbau an einen Hindu-Heiligen und zwei Tempeln, wobei er uns viel über die Religion erklärte. Am nächsten Tag brachte uns unser Bus nach dem Besuch der Synagoge in Cochin durch den sehr lauten Verkehrsdschungel einer indischen Großstadt in die touristische Attraktion des Bundesstaates Kerala. Dies sind die Backwaters, ein Lagunen und Kanalsystem hinter der Küste, wo sich Süß- und Salzwasser vermischen und eine Landschaft aus großen Seen, verträumten Wasserwegen und Palmeninseln bilden. Nach einem weiteren typisch indischen Essen stand die malerische Bootsfahrt auf den Kanälen auf dem Programm. Der Rückweg über hügeliges Hinterland führte uns nach dem Besuch eines weiteren Hindu-Tempels in der Dunkelheit erst spät und entsprechend müde zum Ashram zurück.
Am folgenden Tag hatten wir Gelegenheit, von einem indischen Professor viel über Indien, Land und Leute generell und über den Hinduismus speziell zu erfahren. Der ungewohnt kurze Nachmittag – man ist nicht darauf eingestellt, dass es bei solchen Temperaturen bereits um kurz nach 6:00 Uhr stockdunkel ist – brachte einem Teil unserer Gruppe erstmaligen direkten Kontakt zu den Menschen, die Kalady, das Dorf rundum das Ashram bewohnen. Sie begegneten uns sehr offen und freundlich. Ganz besonders die Kinder hatten wenig Scheu und unsere Antworten auf ihr „where are you from?“ und what’s your name? in Verbindung mit der Übergabe von dafür vorgesehenen Volksbank-Pens machten ihnen und uns viel Freude.
Tag 4 sollte uns mit einer 7-stündigen Busfahrt – die indischen Zeitangaben lernten wir erst später in unserem Terminplan richtig einzuordnen - in die Nilgiri-Berge führen. Starke Niederschläge störten uns im Bus wenig, und bei der abendlichen Ankunft in einer Hotelanlage verwöhnte uns der in den Vortagen entbehrte Komfort. (Das ausgesprochen große Spinnentier, das bis zu unserer Ankunft in unserem Zimmer wohnte, wurde von unserer Naturexpertin Elisabeth unerschrocken und behutsam an die frische Luft gesetzt, so dass wir später beruhigt schlafen konnten.) Nach dem Abendessen kreiste in lustiger Runde noch eine kleine als Magenproblem-Prophylaxe gedachte Whiskey-Ration, die so auch einen guten Zweck erfüllen konnte. Alle diese vorhanden Vorräte wurden übrigens im Laufe der Reise gleichermaßen zweckentfremdet.
Die Ausflugsroute am nächsten Tag erfuhr nach der
Bekanntgabe der Distanzen eine spontane Änderung. Unser Guide Bernhard konnte
uns in unmittelbarer Nähe den Besuch der Plantage eines Freundes ermöglichen.
Dort empfing uns Merrin,
die Tochter der Familie und überaus gastfreundlich zeigte sie uns mit ihren
Eltern die Kaffeesträucher, Palmen, besondere Obstbaumarten und deren Früchte,
die Zuckerrohrpflanzen und die Fischteiche, in denen sehr malerisch Lotosblumen
blühten.
Den zweiten Stopp des Tages machten wir bei den Teeplantagen in der Region, die im Sonnenlicht deutlich pittoresker und fotogener waren als am verregneten Vortag. Ein nächstes Ziel war ein regionales Ausflugsziel an einem kleinen See, wo wir einen kleinen Spaziergang genießen konnten.
Kindergartenkinder und Schulklassen, vor allem die in Saris gekleideten jungen Damen, waren tolle Farbtupfer in der grünen Landschaft.
Ein kurzer Besuch in Guide Bernhards Bruders Kaffeerösterei und Ölmühle sowie einer organic farm, einer biologisch Farm mit vielen exotischen Produkten, darunter viele Arten von Pfeffer, Muskatnüssen u.v.a.m. beendete unseren Ausflug mit dem Schwund des letzten Tageslichts.
Nach dem Abschied am nächsten Morgen war unser nächstes Ziel die Stadt Mysore, wo wir Pieters Freund, den Maler und Theologen Jyoti Sahi treffen wollten. Unser Quartier war im Green Hotel, einem malerischen Gebäude, das, wenn ich es richtig verstanden habe, von den Angestellten selbst gemanagt wird.
Jyoti führte uns zu dem Maharadscha-Palace, der mir auch wegen des Kontrastes mit blauem Himmel sehr gut gefiel. Auf den anschließend geplanten Besuch des Blumen- und Farbenmarktes – vor allem bei den herrschenden Lichtbedingungen - hatte ich mich sehr gefreut. Deshalb sind wir mit einer Motorrikscha kurz entschlossen dorthin gefahren, während die Gruppe noch einen weiteren Tempel besichtigte. Meine Vorfreude war nicht unbegründet, das Licht, die Farben und Motive übertrafen meine Erwartungen. Viel zu früh verabschiedete sich wieder das Tageslicht und der waghalsigste Rikschafahrer Indiens brachte uns trotz allem wie auch immer unversehrt zum Hotel zurück.
Das sehr feine Abendessen nahmen wir unter freiem, sternenklarem Himmel und der im November nie für möglich gehaltenen nächtlichen Wärme mit dem ersten von insgesamt zwei Kingfisher-Bieren der Indienreise mit Evelyn, Heidi, Frigga, Ernst und Pieter zu uns. Diesen Tag in Mysore werde ich nie vergessen.
Nach nur einer Übernachtung in diesem schönen Hotel führte
uns die Reise nach Hassan in den Bundesstaat Karnataka,
wo uns Jyoti zu besonderen Tempelanlagen und
Heiligtümern führte, über die er uns sehr ausführlich informieren konnte
.
So besuchten wir Shravanabelagola, das wichtigste
Pilgerzentrum des Jainismus. http://de.wikipedia.org/wiki/Shravanabelagola.
Am nächsten Tag besichtigten wir von unserem für diese Zwecke günstig gelegenen Quartier bei Hassan die beiden berühmten Tempel Belur und Hallebid, die über und über mit filigranen Sandsteinskulpturen verziert sind und zu den bedeutendsten Beispielen der Hoysala-Architektur zählen.
Nächstes Reiseziel war die Großstadt Bangalore, wo wir bei Jyoti und seiner Frau Mary viel über seine Kunst und ihre
Arbeit als Lehrerin erfuhren. Nach unserem Abschied von ihnen fanden wir die
nächste Unterkunft in VISTHAR, einer Anlage, wo uns Pieters Freund C. F. John,
ein Maler und Aktionskünstler erwartete. John zeichnet für die meisten Gebäude
in VISTHAR verantwortlich. Er kümmerte sich die nächsten Tage um uns. Bei
unserem Besuch in seinem Haus lernten wir seine Frau Rhia kennen, die unsere
Damen mit ihrem schönen Keramikschmuck erfreute.
VISTHAR ist eine säkulare, Non-Profit-Organisation (NPO), mit dem
Ziel, Frauen, Kinder und Minderheiten zu befähigen, ihre Rechte zu erkennen und
zu realisieren. Sie beherbergt und rehabilitiert gefährdete und
benachteiligte Kinder. Sie ermöglicht ihnen den Schulbesuch sowie weitere
Ausbildung. Im Resource- and
Lerning-Centre erhalten Organisationen und
Studenten Unterstützung für ihre Arbeit für eine gerechtere Gesellschaft. Sein
Leiter, Dr. David Selvaraj, informiert in der hier
verlinkten http://www.visthar.org/about-us/videos/
Videosequenz in sehr gut verständlichem Englisch über die Aktivitäten von
VISTHAR. Während unseres Aufenthaltes in VISTHAR lernten wir
Schwester Francoise Bosteels kennen. Die gebürtige Belgierin zeigt mit den
von ihr gestalteten Puppen
Schicksale von Benachteiligten und Rechtlosen, hauptsächlich von Frauen. Gerade
in Indien gibt es durch die Mitgiftverpflichtung unglaubliche Grausamkeiten
gegen Frauen, die betroffen machen und vielen Europäern nicht bekannt sind.
Nach vier Tagen brachte uns ein Inlandsflug von Bangalore nach Chennai , einer Großstadt im Osten Südindiens, die bis vor kurzem noch Madras hieß. Dort begrüßte uns Robert Guruswami und seine Tochter Dr. Anitha Mahendiran. Robert ist der Gründer des Institute for Development Education, das nun von seiner Tochter geleitet wird. I.F.D.E . ist eine kleine Non-Gouvernment-Organisation (NGO) und NPO, die sich mit der Entwicklung der Bevölkerung in den Dörfern und Slums beschäftigt.
Unser Hotel Tamil-Nadu lag etwa 2
Busstunden von Chennai entfernt direkt am Meer unweit
von Mahabalipuram, einem Ort mit vielen
Sehenswürdigkeiten, die wir uns am nächsten Vormittag anschauten. Am Nachmittag
waren wir zu einer kulturellen Veranstaltung im Rahmen des Bharatiya-Vidya-Bhavan
Kultur-Festivals 2010 eingeladen, wo wir klassische indische Musik – eine für
unsere Ohren ungewohnte Kombination von Flöten- und Trommelklängen – und
klassischen indischen Tanz genießen durften. Im Anschluss daran hatte Anitha unsere 20 Personen starke Reisegruppe zu einem
tollen indisches Essen in ihrem Haus eingeladen. Der kommende Tag wurde von
unseren Tonkünstlern Christian und Pieter und natürlich auch uns mit Spannung
erwartet. Sie waren die Hauptakteure einer Konzertdarbietung
auch im Rahmen des o. g. Festivals, in der sie nun den Gastgebern
europäische Klänge in Form einer Auswahl von Liedern aus dem Liederzyklus
„Die Winterreise“ von Franz Schubert präsentierten.
Unser bereits vorletzter Tag führte uns in die Dörfer, wo
uns die Projektarbeit von I.F.D.E. gezeigt wurde. So präsentierte man uns zum
Beispiel Holz bearbeitende Jugendliche und ihre Arbeiten
(Woodcarving Centre)
und die
Kerzen-
und Seifenproduktion im Production-Centre.
Dieses Projekt soll eigenes Einkommen erwirtschaften. Im Tailoring-Centre
werden Frauen und Mädchen in Schneiderarbeiten ausgebildet. I.F.D.E.
engagiert seine Mitglieder auch in der Seniorenarbeit und fördert
Trainingsgruppen für Maschinenschreiben und Computer- und Englische
Sprachkenntnisse. I.F.D.E. will nicht in Sachwerte, sondern in Menschen
investieren. Es wird von der Presbyterianischen Kirche in Kanada getragen. Sein
Ziel ist nicht die Investition in Sachwerte, sondern die in die Menschen.
Seit einigen Jahren gibt es die Nightclasses
.
Dort werden die Kinder in den Dörfern durch Nachhilfeunterricht gefördert.
Diese Projektarbeit konnte durch die Unterstützung des Vereins Karunya Home e.V., den Dr. Pieter de Haas leitet, zustande
kommen. Die Begegnungen mit den Kindern und ihre großzügige Freundlichkeit
gehören zu meinen bis heute schönsten Urlaubserfahrungen.
Fazit:
Diese Reise hat nicht nur meine fotografischen Erwartungen weit übertroffen. Pieters Freunde in Indien ermöglichten uns, Land und Leute näher kennenzulernen und in spezieller Weise zu erleben. Mit dieser einmaligen Reisegruppe besonderer Menschen und deren Leiter habe ich mich sehr wohl gefühlt und würde das Abenteuer wieder wagen, schon allein der aktuell hier herrschenden Temperaturen wegen. Ich bin sehr dankbar, durch Pieter die Gelegenheit zu meiner bisher weitesten Reise gehabt und diese als etwas ganz besonders Wertvolles erlebt zu haben.
Sonstiges:
Das Essen ist bekömmlich – im feineren Restaurant wie im
privaten Haushalt, der Klosterküche oder auch den Restaurants, in denen die
Einheimischen speisen. Alkohol, auch zum Essen in Restaurants ist unüblich – es
ging auch weitgehend ohne.
Die Verkehrsverhältnisse sind ganz sicher nichts für deutsche Autofahrer und
ihre Nerven. Klimaanlagen – nicht nur -in öffentlichen Gebäuden sind in der
Lage, die Raumtemperaturen in sehr unangenehme Bereiche zu senken.
Zeitangaben sind am besten flexibel zu interpretieren. Bestätigendes Kopfnicken
oder verneinendes Kopfschütteln gibt es nicht. Es gibt ein Kopfwackeln und das
ist wie die Zeitangaben unterschiedlich zu deuten. This is/was India.
Hansmartin Schweitzer